Kapitel 1 - Fey

Ich zitterte am ganzen Körper, mir war eiskalt und trotz allem schwitzte ich aus allen Poren. Verdammt. Ich war schon so oft auf einem Springturnier gestartet, war inzwischen sogar vom Niveau her schon in der Königsklasse und hier sehr erfolgreich und trotzdem war es für mich immer wieder ein Nervenakt, bei einem Turnier zu starten. Ich zählte zu den erfolgreichsten Springreiterinnen und wurde stets als Star des Turniers gepriesen, aber diese Nervosität, die mich immer wieder erfasste, konnte ich einfach nicht ablegen.
»Stell dich nicht so an. Den Sieg hast du schon so gut wie in der Tasche. Außer du machst einen Fehler, weil du dich nicht im Griff hast«, maulte meine Mutter und stieß die Luft aus und stolzierte an mit vorbei. Ich seufzte und verdrehte die Augen. Keiner war so ehrgeizig und nahm einen Sieg so wichtig wie meine Mutter. Mein Vater hatte mir immer gesagt, egal, wofür ich mich entschied, ich musste mit dieser Entscheidung glücklich sein. Manchmal fragte ich mich, ob ich mit all dem Rummel wirklich zufrieden war. War es das, was ich wollte? Immer diese Nervosität?
»Mein Schatz. Du schaffst das. Ich bin zuversichtlich«, hörte ich hinter mir die beruhigende Stimme meines Vaters. Es war so schön ihn an meiner Seite zu wissen.
»Danke, Dad. Es ist einfach die Menschenmenge, die mich immer wieder nervös macht. Sie alle glauben fest daran, dass ich es schaffe. Aber was ist, wenn ich mal einen schlechten Tag habe und es dann doch nicht schaffe?«, fragte ich und seufzte.
»Passiert. Versuch, sie einfach auszublenden«, schlug er vor und legte seine Hände auf meine Schulter. Ich sah ihm fest in die Augen, nachdem ich mich zu ihm umgedreht hatte.
»Gar nicht so einfach.«
»Stell sie dir nackt vor«, kam erneut ein Vorschlag von meinem Dad. Nun konnte ich ein Lachen nicht unterdrücken.
»Danke, Dad.«
»Immer. Und jetzt zeig ihnen, was du drauf hast«, meinte mein Vater, klopfte mir noch einmal ermutigend auf die Schulter und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Ich lächelte ihn dankbar an und ging dann zu Silver, der schon auf mich wartete.
»Als Nächstes bitten wir Fey Martin an den Start. Sie startet auf ihrem Hengst Silver und gilt als Favoritin in diesem Turnier...«, ertönte es aus den Lautsprechern und nun wurde mir noch kälter, wenn das überhaupt noch möglich war. Ich schloss für kurze Zeit die Augen und atmete tief durch, bevor ich mich in den Sattel meines Hannoveraners schwang und ihn antrieb. Ich lenkte ihn durch die ganzen Teilnehmer hindurch an den Start, wo ich schon erwartet wurde.
Ein letzter Blick über die Zuschauer und dann ertönte auch schon das Startzeichen. Ich kannte den Parcour in- und auswendig und es war für mich eine Leichtigkeit, die Hinternisse zu nehmen. Ich erwischte immer den richtigen Moment, um ohne Fehler über das Hindernis zu kommen und auch bei Silver merkte ich, dass er keinerlei Probleme hatte sie zu nehmen.
Als wir zum Wassergraben kamen, geschah das Unglück. Ich fixierte das Hindernis an und machte mich schon bereit. Doch aus einem unersichtlichen Grund wurde Silver unter mir nervös und begann zu tänzeln, während wir auf das Hindernis zusteuerten.
»Bitte Silver. Wir haben es fast geschafft«, flehte ich, doch, es war zu spät. Anstatt über das Hindernis zu springen, legte er eine Vollbremsung hin. Ich war zu überrumpelt, um mich festzuhalten und wurde über seinen Kopf hinweg nach vorne geschleudert. Unsanft landete ich genau mit dem Kopf auf dem Boden. Ich spürte einen Schmerz in meinem Kopf, als ich auf schlug, sah mich kurz benommen um und erblickte Rettungsleute, die auf mich zu kamen, bevor um mich alles schwarz wurde und ich das Bewusstsein verlor.

Mit Leichtigkeit nahmen wir das Hindernis, das vor uns lag, bevor wir das nächste Hindernis ansteuerten. Seit dem Unfall war ich lange Zeit nicht mehr im Sattel gesessen. Ich hatte mich einfach nicht mehr auf das Pferd getraut. Die Angst vor einem neuerlichen Absturz war einfach viel zu groß.
Meine Mutter hatte nie aufgegeben mich damit zu bearbeiten, endlich wieder aufs Pferd zu steigen und weiter zu machen, während mein Vater mich immer darin gestärkt hatte zu tun, was ich für richtig hielt. Ich musste jedoch am Ende doch eingestehen, dass mir die Ausritte mit Silver fehlten.
Also nahm ich all meinen Mut zusammen und stieg wieder auf. Inzwischen war ich froh, dass ich diesen Weg gegangen war. Auch wenn ich mich noch immer nicht auf Turniere traute. Ich war mir auch nicht sicher, ob ich jemals wieder auf einem starten würde. Doch ich brauchte es nicht. Alles was ich zu meinem Glück benötigte war Silver und dass ich mit ihm reiten konnte. Egal ob mit oder ohne Turnier.
»Hey!«, ertönte eine überraschte Stimme und riss mich aus meinen Gedanken. Ich reagierte sofort und brachte mein Pferd zum Stillstand. »Kannst du nicht aufpassen, wo du hin reitest?« Ertönte eine gereizte Stimme und nun fiel mein Blick auf die Person, die sich so aufregte. Vor uns auf dem Boden lag ein junger Mann, der mich sauer anblickte. Immerhin sah er nicht schlecht aus. Er war groß, hatte braune Augen und blonde wuschelige Haare.
»Ich soll aufpassen? Sorry, aber ich bin es nicht gewohnt, dass fremde Leute auf unserem Privatgelände herumlaufen. Wenn schon jemand denkt, er müsste private Eigentum stören, dann sollte dieser jemand wenigstens soweit sein, dass er aufpasst und nicht genau in den Springparcour läuft. Wer ist eigentlich so blöd?«, fauchte ich ihn nun an und wurde ungehalten. Silver unter mir wurde etwas unruhig und tänzelte herum. Ich strich ihm zärtlich über den Hals und versuchte ihn zu beruhigen.
»Daniel«, kam von dem Mann, der sich nun aufrappelte und den Hintern abputzte.
»Was?«, fragte ich überrascht.
»Daniel. Das ist mein Name.« Ich kniff die Augen zusammen und musterte ihn. Wollte er mich verarschen?
»Du hattest gefragt, wer so blöd ist. Das wäre dann ich. Ich wusste nicht, dass das hier Privatgrundstück ist«, antwortete er ruhig und nun grinste er mich frech an. Ich schnaubte. Wie konnte man einem da noch böse sein? Man könnte meinen, dass er es genau wusste. Verdammt.
»Das ist mein Geländeparcour zum Üben und gehört noch zu unserem Grund ja. Unsere Farm ist gleich da drüben«, stellte ich fest und deutete in die Richtung, in der wir unser zuhause hatten. Als ich noch auf Turniere gestartet war, hatte mein Vater mir extra etwas abseits einen Parcour aufgestellt, auf dem ich in Ruhe trainieren konnte. Eigentlich hatten wir ihn abgegrenzt und ein Schild aufgestellt, dass es sich hierbei um Privatgelände handelte, doch es passierte immer wieder einmal, dass Leute diesen Hinweis ignorierten und unser Grundstück betraten. Im Grunde war es uns egal, solange keiner etwas anstellte. Die Meisten waren einfach nur Fußgänger, die die Ruhe hier genossen. Immerhin war hier nicht wirklich was los, wenn ich nicht gerade trainierte. Aber wenn ich wirklich in meinem Element war, hatte ich weder die Lust noch die Möglichkeit, mich auch noch auf die Fußgänger zu konzentrieren. Ich verließ mich hier dann darauf, dass man so klug war, etwas aufzupassen, was vor einem geschah.
»Fey«, stellte ich mich dann ebenfalls vor, ließ die Zügel fallen und stieg vom Pferd. In einer Hand hielt ich mein Pferd, während ich ihm die andere hinstreckte.
»Schön dich kennenzulernen. Ein echt schöner Name, den du hast«, stellte er dann fest und nahm meine Hand und schüttelte sie. »Und sorry noch einmal, dass ich einfach so hier eingedrungen bin und dann auch noch die Frechheit besaß, nicht aufzupassen wo ich hinlaufe. Kannst du mir hier noch einmal verzeihen?«, fragte er dann und sah mich mit einem Hundeblick an, der mir nun endgültig den Rest gab. Verdammt!

Kapitel 2 - Daniel

Nachdem ich fast über den Haufen geritten wurde, war meine Neugierde geweckt, wer dieses Mädchen war, dass es mit ihrem Pferd so eilig hatte. Mein Start an meinem neuen Drehort war wohl nicht gerade der Beste. Konnte sich also eigentlich nur steigern.
Das Mädchen war wunderschön. Es hatte grüne Augen, die mir entgegen stachen und blonde Haare, die ihr in Locken über die Schultern fielen. Außerdem schien sie ein richtiges Temperament zu haben, das ich an Frauen wirklich liebte. Was mir jedoch ganz besonders zu sagte war, dass sie mich entweder nicht kannte oder mich nicht erkannte. Was es war, war mir jedoch egal. Hauptsache sie fiel mir nicht gleich kreischend um den Hals und sprach mit mir, weil ich ein Star war und sie etwas von mir wollte.
Auch wenn es bisher eher Gezicke von ihr war, so war ich froh, dass ich einmal normal mit einem Menschen reden konnte.
Nach meiner Frage, wartete ich auf eine Reaktion, doch im Moment schien sie eher sprachlos geworden zu sein. Das Einzige, was im Moment die Stille störte, war das Schnauben ihres Hannoveraners, der brav neben ihr stand und die Ruhe selbst war. Ja, ich kannte mich mit Pferden aus. Ob das ein Pluspunkt für mich war, wenn ich ihr das erzählte?
»Muss ich mir noch überlegen. Dafür musst du dich aber jetzt ganz schön zusammen nehmen«, meinte sie dann und ich bemerkte, dass sie langsam zu bröckeln begann. Auf mein Gesicht huschte ein Grinsen. Wäre doch gelacht, wenn ich das Mädchen nicht davon überzeugen konnte, dass ich ein netter Kerl war.
»Ich glaub, das könnte ich hinbekommen«, meinte ich grinsend. »Trainierst du für ein Turnier?«
»Früher ja. Jetzt nur noch zum Spaß und damit ich mich etwas vom Alltag ablenken kann.
»Und wieso reitest du nicht mehr auf Turniere?«, fragte ich neugierig und musterte sie. Auch wenn ich ihr noch nicht wirklich beim Training zu gesehen hatte, da wir uns erst begegnet waren, weil sie mich über den Haufen geritten war, so war ich mir sicher, dass sie Potential hatte. Sie war so in ihre Arbeit vertieft, sonst hätte sie bemerkt, dass ich aus dem Dickicht gekommen war, das hieß einiges. Sie war auf das, was sie wollte fixiert und das war etwas, das man im Topsport benötigte und da war es egal, um welchen es sich handelte.
Inzwischen war Fey abgestiegen und ließ sich in das Gras neben dem Parcours nieder. Ich tat es ihr nach und glitt neben ihr auf den Boden. Ihr Pferd nahm das alles unbeteiligt zur Kenntnis und schien die kurze Pause zu genießen. Neben dem Mädchen waren ein paar Grasbüschel, an denen es nun zu kauen begann, während Fey noch immer die Zügel in der Hand hielt, damit ihr Liebling nicht ausbüchsen konnte.
»Ich hatte einen schweren Unfall und seither traue ich mich, dank meinem Vater, zwar wieder auf das Pferd, aber immer wenn ich daran denke, mit Silver wieder an einem Turnier teilzunehmen bekomme ich richtig Angst. Mir wird heiß und kalt zugleich und es fällt mir zunehmend schwer, mich auf den Beinen zu halten, weil mir bei dem Gedanken daran, wieder vor so viel Publikum zu stehen und möglicherweise wieder zu versagen, so wie damals, schwindelig wird«, begann sie mit einem traurigen Unterton zu erzählen und senkte den Kopf. Als ich ihr zuhörte, wurde mir ebenfalls traurig zu Mute und sie tat mir richtig leid. Auch wenn ich nicht wusste, was für einen Unfall sie genau hatte, klang es nun nicht gerade nach einer Lappalie.
»Es ist schon mal ein guter Anfang, wenn du dich wieder aufs Pferd traust. Immerhin trauen sich viele, danach nicht mal mehr zu reiten«, meinte ich und lächelte sie aufmunternd an. Über den Unfall selbst wollte ich sie nicht ausquetschen, da ich mir sicher war, dass sie nicht unbedingt darüber reden wollte. Ich konnte es verstehen. Wenn er tatsächlich so schlimm war, dann wollte sie es vermutlich einfach nur vergessen.
»Das hab ich meinem Vater zu verdanken. Er hat mich zwar nicht gedrängt, aber doch immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, sofort wieder auf das Pferd zu steigen.«
»Ein sehr weiser Vater«, stellte ich fest.
»Meine Mutter war da etwas anders. Sie war zwar auch immer der Meinung, ich sollte wieder aufsteigen, aber eher, weil sie wollte, dass ich wieder auf Turniere starte. Ich war sehr erfolgreich und die umstrittene Nummer Eins. Dass ich den Unfall hatte und nicht mehr starten konnte, hatte sie nie so recht verkraftet. Sie wollte mich wieder siegen sehen«, begann Fey nun weiter zu erzählen.
»Das war alles für sie? Sie wollte nur, dass du wieder siegst? Deine Gefühle und deine Gesundheit waren ihr egal?«, fragte ich verwundert und geschockt darüber, dass eine Mutter so denken konnte.
»Sie liebt den Erfolg und wenn er nur durch mich ist«, meinte das Mädchen achselzuckend. Von außen hin wirkte sie zwar, als wäre ihr das alles egal, aber ich war mir sicher, dass es tief in ihrem Inneren ganz anders aussah.
»Aber dafür geht man doch nicht über die Leiche der Tochter«, meinte ich, seufzte und sah schweigend nach vorne. Ich konnte und wollte es einfach nicht verstehen.
»Was willst eigentlich du?«, durchbrach ich dann die Stille und sah sie wieder an.
»Reiten. Ich will einfach nur reiten. Es bedeutet mir alles. Mir ist aber egal, ob ich auf Turnieren starte, oder einfach nur für mich hier springe. Erfolg ist für mich nicht wichtig, zumal ich sowieso ganz was Anderes machen möchte«, meinte Fey grinsend.
»Auch etwas mit Pferden?«, hackte ich weiter nach.
»Nein, eine ganz andere Richtung, aber da spielt mein Vater nicht so mit«, meinte Fey grinsend. »Er denkt es sei zu gefährlich«, fügte sie dann noch hinzu und ich bemerkte, sie mir entglitt. Ihre Gedanken schwebten ganz wo anders hin und waren nicht mehr bei mir. In diesem Zustand beobachtete ich sie. Eine vorwitzige Strähne bahnte sich ihren Weg aus ihrem Zopf heraus, während sie auf ein undefinierbares Ziel starrte.
»Daniel?«, ertönte die Stimme von Tom und ich verdrehte genervt die Augen. Vermutlich war ich zu lange vom Set weggewesen und nun wurde schon nach mir gesucht. Ich schloss kurz die Augen und zählte bis Drei, bevor ich sie wieder öffnete und in die Richtung blickte, aus der das Rufen kam.
»Hier«, rief ich, als mein Name erneut erklang, machte jedoch keine Anstalten aufzustehen.
»Wie es aussieht, wirst du schon vermisst«, stellte Fey fest, die wieder im Hier und Jetzt gelandet war, drehte ihren Kopf zu mir und lächelte mich frech an. Ich konnte nicht umhin, dass in meinem Bauch etwas zu kribbeln begann, als sie mich mit diesem Lächeln bedachte.
»Sieht ganz so aus«, stellte ich ebenfalls fest und genau in diesem Moment hörte ich, wie Tom durch das Dickicht brach. Zuerst kam sein brauner Lockenkopf zum Vorschein, bevor auch der Rest von ihm vor uns stand. Die Hände hatte er in die Hüften gestemmt, er schnaufte laut und sah von mir zu dem Mädchen neben mir und dann wieder zu mir zurück.
»Du hättest wenigstens etwas sagen können«, maulte er dann, nachdem ich keine Anstalten machte, etwas zu sagen.
»Ich hab gesagt, ich gehe spazieren, aber ihr wart so mit der Arbeit beschäftigt, dass ihr mich gar nicht wahrgenommen habt. Ich dachte, ich sei für heute fertig«, fügte ich am Ende noch hinzu. Tom maulte etwas Unverständliches und sah dann erneut zu Fey, die ihn neugierig beobachtete.
»Eigentlich wollten wir auch nur alles zusammenräumen und dann abhauen«, stellte er dann etwas lauter und verständlicher fest und sah wieder zu mir. Erwartungsvoll durchbohrten mich seine braunen Augen.
»Sorry, aber ich muss gehen«, meinte ich dann an das Mädchen neben mir gewandt und sah sie traurig an. Zu gerne wäre ich noch etwas länger geblieben. »Sehen wir uns noch einmal?«
»Du weißt ja, wo du mich findest. Ich bin hier eigentlich jeden Tag«, antwortete sie mir lächelnd.
»Dann komme ich garantiert wieder diesen Weg vorbei. Aber bitte lass mich das nächste Mal heil.«
»Ich werde es versuchen.«
Sie schenkte mir noch ein Lächeln, das ich erwiderte, dann stand ich auf und folgte Tom zurück zum Drehort, wo die Crew schon dabei war, alles Wichtige abzubauen und in die Autos tu verfrachten.
Da wir mit den Dreharbeiten erst begonnen hatten, würden wir wohl noch eine längere Zeit hier verbringen und somit bot sich noch oft genug die Gelegenheit Fey einen Besuch abzustatten, bevor ich wieder zurück nach Deutschland musste. So sehr ich am Anfang nicht so begeistert war, einen Film in Österreich zu drehen, so war ich inzwischen richtig froh, dass ich dem Angebot doch zugestimmt hatte. Das mit diesem Mädchen würde noch interessant werden. Zumindest hoffte ich das.