Vor dem Fenster des Schulleiterbüros fielen die ersten Flocken. „Albus, bist du dir wirklich sicher? Er ist ein hervorragender Okklumentiker, wenn er diesen Tom Riddle täuschen kann. Was macht dich so sicher, dass er dich nicht ebenso täuscht? Du weißt, du hast schon einmal nicht auf mich gehört - ...“
Dumbledore senkte den Kopf. Seine Gedanken wanderten weit zurück in den Korridor eines Londoner Waisenhauses, wo er soeben sein erstes Gespräch mit Tom Riddle geführt hatte.
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Ein junges Mädchen, fast noch ein Kind, war auf dem Weg zur Treppe vor ihn getreten und hatte ihn mit ihren Augen festgehalten: „Halten Sie das für eine gute Idee?“ - Auf seinen fragenden Blick entgegnete sie: „Diesem Jungen noch mehr... - Magie beizubringen?“ Erschrocken hatte sich Dumbledore umgeschaut, aber sie sprach schon weiter: „Ich habe ihn gehört, es ist also wahr, er hat magische Kräfte. Ich wollte es nicht glauben, aber es gab keine logische Erklärung für all diese Dinge ... - Hören Sie, dieser Junge ist böse, er genießt es, andere zu quälen, er hat Billys Kaninchen getötet, einfach so, ohne jede Hemmung. Mrs. Cole konnte es nicht beweisen, aber ich weiß es – und er weiß, dass ich es weiß. Er belügt alle hier, aber ich habe ihn durchschaut – ich sehe es ihm an, wenn er lügt. Er geht mir aus dem Weg, er weiß nicht, wie ich es herausfinde, aber dieser Junge ist gefährlich.“
Beruhigend beugte sich Dumbledore zu ihr hinunter: „Ich kann mir schon vorstellen, dass ihn hier alle etwas seltsam finden. Er wird lernen, diese Kräfte zu beherrschen.“ Ihre grünen Augen funkelten ihn zornig an: „Sie verstehen überhaupt nichts, er kann diese Kräfte, wie Sie das nennen, sehr wohl beherrschen, er tut anderen damit weh! Verstehen Sie doch, wenn irgendjemand irgendeines unserer Kinder von hier wegholen würde, dann gäbe es mindestens ein oder zwei andere, die darüber traurig wären. Bei Tom ist das nicht so. Er hat keine Freunde, manch einer wollte schon gern mal mit ihm spielen oder ist auf ihn zugegangen – aber er will keine Freunde, er kann überhaupt nichts für einen anderen Menschen empfinden. Na ja, außer vielleicht Verachtung ... Aber verstehen Sie, was ich meine: Wenn Tom fort ist, werden alle hier erleichtert sein, alle. Die meisten haben Angst vor ihm.“
Dumbledore schaute nun interessiert: „Aber du nicht, oder?“ - „Nein“, klang es trotzig, „manchmal glaube ich, er hat Angst vor mir.“ Schweigend sahen sie einander an – es war, als ob sie einander mit Blicken röntgen wollten. Dann brach sie das Schweigen: „Sie müssen mir etwas versprechen: Bitte! Sie müssen die anderen Kinder in Ihrer Schule vor Tom beschützen, versprechen Sie mir das?“ Noch bevor Dumbledore etwas entgegnen konnte, sagte sie enttäuscht: „Ich sehe Ihnen an, dass Sie mich nicht ernst nehmen, vielleicht weil Sie so viel älter und erfahrener sind. Aber glauben Sie mir, dieser Tom ist sehr gefährlich, Sie werden noch an meine Warnung denken – und hoffentlich wird es dann nicht zu spät sein. Sie denken, dass Sie alles richtig machen, aber auch ein alter Mann kann sich irren.“ Sie lief ein paar Schritte auf und ab, blieb dann unmittelbar vor ihm stehen und schaute zu ihm hoch. „Wie haben Sie sich das eigentlich vorgestellt? Wenn er noch mehr solche Sachen lernt, dann ist doch hier keiner mehr sicher! Oder behalten Sie Tom für immer in Ihrer Schule? Was wird in den Ferien?“ Energisch stützte sie die Hände in die Hüften und trat einen Schritt auf ihn zu. Bei einem Erwachsenen hätte die Geste beeindruckend gewirkt, Dumbledore entlockte sie ein Schmunzeln. „In den Ferien kehren alle unsere Schüler nach Hause zurück.“ Dumbledores Stimme war tief und beruhigend. „Und alle unsere Schüler wissen, dass sie in den Ferien außerhalb der Schule keine Magie gebrauchen dürfen, solange sie noch nicht volljährig sind.“ Sie schnaubte abfällig und winkte ab. „Als ob Tom sich je um ein Verbot geschert hätte! Hier ist dann keiner mehr sicher, keiner! Und überhaupt: Was heißt, noch nicht volljährig? Was wird denn später?“ Der alte Zauberer sah das Mädchen lange an. Er öffnete den Mund zu einer Antwort, doch dann presste er die Lippen aufeinander, drehte sich um und ging. Mrs. Cole war am Ende des Ganges aufgetaucht, die Brauen zusammengezogen: „Ich hoffe, die Kleine hat Sie nicht belästigt.“ - „Ganz und gar nicht, Mrs. Cole“, sagte Dumbledore und war innerlich froh, dass er die drängende Frage nicht mehr beantworten musste. Er konnte nicht verhindern, dass er sie in Gedanken noch oft hören sollte: „Was wird später?“
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Langsam kehrten Dumbledores Gedanken in die Gegenwart zurück. Er schaute Charity an und war sich sicher, sie wusste genau, woran er gerade gedacht hatte. Mit fester Stimme sagte er: “Das ist etwas anderes, ich vertraue Severus.“ - „Es wäre alles einfacher für mich – und nebenbei gesagt, auch für Harry, wenn du mir einfach sagen würdest, was dich so sicher macht.“ Albus schüttelte den Kopf: „Ich kann nicht, ich habe mein Wort gegeben.“ - „Und ich bin mir bei ihm überhaupt nicht sicher, es passt irgendwie alles nicht zusammen, nun, wenn du nicht darüber sprechen willst, dann muss ich ihn selbst fragen. Ich will ihm dabei in die Augen sehen.“
Damit hätte ich am Wenigsten gerechnet - Charity ist also wirklich ein Muggelmädchen und ungefähr so alt wie Tom Riddle. Und sie scheint irgendwie in der Lage zu sein, sein Lügenspielchen zu entlarven (hat sie also doch irgendwelche latent schlummernden Zauberkräfte? Wer weiß...) und jetzt verstehe ich auch den Hinweis im vorigen Kapitel, dass sie ausreichend wie eine Hexe aussieht, um nicht aufzufallen. Und sie hat mit ihrer Einschätzung von Tom völlig Recht.
Wie sie das macht - das wird auch Severus noch einiges Kopfzerbrechen bereiten - aber erst im nächsten Kapitel. ( Und er wird es bis zu seinem Tod nicht herausfinden - so viel sei schon verraten. )
Darauf freue ich mich schon. Das ist wie bei einer guten Serie, da fiebert man auch immer der nächsten Folge in einer Woche entgegen :D. (Und armer Snape!)