XII.

Harriet schloss die Augen, als sie die Leiche sah und wollte dieses abschreckende Bild vergessen.
Es ging ihr einfach nicht aus dem Kopf, auch als sie über ihre Zukunft nachdachte.
Was wohl aus ihrem Kind wird und ob sie es überhaupt noch sehen bekommt, wenn sie es auf die Welt bringt? Wer wird darauf acht geben, wenn sie im Krieg sterben wird? Wer?
Vorsichtig kroch sie rücklings von ihrem Platz weg, um nicht noch mehr Blut abzubekommen.
Langsam öffnete Harriet ein Auge und sah zur Leiche hin, die nun im Wind leicht herumschaukelte.
Mit starrem Blick schaute sie die Leiche an, die, wie sie erkennen konnte, ein Zauberer gewesen war, der erhängt worden war.
Allerdings war er aber doch noch vor seinem Tod gefoltert oder hatte mit irgendjemanden gekämpft.
Jedenfalls war die nachtblaue Robe des Zauberers zerrissen und hatte das Blut des Zauberers ein gesogen.
Ein Knirschen ließ Harriets Ohren spitzen, doch in jener Sekunde als sie sich aufrichten wollte, sprang ein Werwolf über sie, dessen Wolfskörper mit Blut übersäht war.
Er knurrte gefährlich auf, drehte sich um und rannte auf sie zu, da er sie erst jetzt wahrgenommen hatte.
Lauf Harriet! Lauf! Lauf verdammt noch Mal! sagte sie zu sich und richtete sich rasch auf.
Dann lief sie los, noch ehe der Werwolf sich auf sie stürzen konnte.
Harriet lief um Ihr Leben, doch es schien ihr, als würde nicht nur sie dies tun.
Obwohl der Werwolf sie mit weiten großen Schritten verfolgte, war es gerade der Gedanke an ihr ungeborenes Kind, der sie nicht nur antrieb, Unmenschliches zu leisten, sondern der auch sämtliche Schwäche und Schmerz nahm.
Und doch hörte sie wieder diese Stimme in ihrem Kopf.
Du wirst sterben…
Nein, das werde ich nicht ', widersprach sie der Stimme mit inniger Überzeugung
Doch das wirst du. Spätestens wenn ich dich sehe.
Bitte lass mich am Leben, ich will doch mein Kind noch auf die Welt bringen!
Das wirst du nicht schaffen, denn du bist verdammt als letzte Sorcière zu leben.
"Warum ausgerechnet ich? Warum muss ich sterben? WARUM?", schrie sie in Nacht hinaus.
Irgendwie war der Werwolf hinter ihr nicht mehr zu hören.
War er stehen geblieben?
Harriet wusste es nicht, doch sie blieb nicht stehen.
Weil du die Auserwählte bist und alle retten musst, doch das werde ICH verhindern.
Ich will endlich mein Leben, leben können. Ich will keine toten mehr sehen oder erleben. Ich will keinen Krieg mehr, ich will Frieden.
Dafür musst du dich opfern. Das ist deine Bestimmung!
Meine Bestimmung? Was bringt das, wenn ich Tod bin? WAS BRINGT DAS?
Das wirst du noch früh genug erfahren….
Die Stimme verstummte und ließ Harriet allein.
Sie ging vorsichtig auf der kleinen Strasse, die durch das Dorf führte weiter, ohne dass sie irgendjemanden sah.
Und dann sah sie es! Sah ein Haus, dass sie irgendwie 'magisch' anzog.
Aber sie wusste nicht wieso?
Zwar es sah wundervoll aus, aber das war es nicht.
Es war irgendwas anderes.

Das Haus, von dem man annehmen konnte, es würde auf Grund seiner Architektur der Renaissance zugehören, wies allerdings mehr gotische Tendenzen auf, als man vermuten würde.
Es war in der Nähe eines Sees erbaut worden.
Um das Grundstück ging ein alter verrosteter verschnörkelter hoher Zaun, vor dem Harriet davor stand und durch die Stäbe lugte.
Ihr weißblondes Haar wehte sachte in der Brise, doch lag etwas Merkwürdiges in der Luft.
Es roch nach vergorenem Blut, obwohl Harriet kein Blut sehen konnte.
Langsam öffnete sie das quietschende Tor, aber nicht ohne sich umzusehen, ob sie allein war.
Immerhin konnten vielleicht Vampire oder Werwölfe sie angreifen, obwohl sie das letzte wieder verwarf, denn sie wusste, dass die Werwölfe sich nicht mehr am Krieg beteiligten.
Diese hatten sich schon an den Todesserwerwölfen gerächt.
Der Kies unter Harriets Schuhen knirschte leise, als sie langsam zum Haus ging.
Wie sie sehen konnte, war es inzwischen mit Efeu bewachsen, aber man konnte noch die an den Wänden bewachsenen roten Rosen sehen.
Aus der Ferne hörte sie ein leises Glockenspiel, das sie dunkel an ihre Vergangenheit erinnerte, doch sie konnte nicht sagen, an was.
Es klang sehr melancholisch. Langsam drückte sie die Türklinke herunter, blieb aber mitten in der Bewegung stehen, denn sie wollte sich den Eingang genauer ansehen. Sie drehte sich um und stellte sich vor, wie es denn früher ausgesehen hatte.
Vor ihr lag der Kiesweg, der zum großen Tor führte.
Auf diesem Kiesweg befand sich keine Meile weit entfernt von ihr ein großer und runder weißer Blumenkasten, in denen lauter verwelkte Rosensträucher zu sehen war.
Neben ihm und den Kieswegen befand sich Rasen, auch wenn dieser lange nicht gepflegt und auf Grund der Wärme schon vertrocknet war.
Sie drehte sich wieder um und schaute sich die alte morsche Eichenportaltür an, die dunkel war und feucht zu sein schien.
Vorsichtig drückte sie abermals die Klinke runter, worauf die Tür knarrend aufging. In der Eingangshalle war alles zerstört und der Kerzenleuchter lag mit Staubweben behangen am Boden.
In der Eingangshalle schien alles zerstört worden zu sein, vor allem der Kerzenleuchter, der normalerweise an der Decke hing, lag mit Staubweben behangen am Boden.
Alles war kaputt und bestäubt.
Langsam ging sie in das Haus und sah sich um.
Um sich einen besseren Überblick über die Eingangshalle machen zu können, stieg sie nach einer Weile die weiße morsche Wendeltreppe hoch.
Die Zerstörung dieser war fürchterlich anzusehen.
Schließlich war sie in der ersten Etage, in der sich viele Räume und Zimmer befanden, die sie sich ansah.
Bei einem der Zimmer blieb sie sogar eine Weile in der Tür stehen und bestaunte es.
Das Zimmer, das so groß wie ein Saal war, war völlig mit Spiegeln behangen.
Harriet konnte sich mehrfach sehen, doch es gab auch freie Stellen, wo eins eine wunderschöne himmelblaue Tapete gehangen hatte.
Es war einst ein schöner Saal gewesen, und so wie Harriet es sich vorstellen konnte, waren hier Bälle veranstaltet und gefeiert worden. Doch irgendetwas hatte alles in diesem Haus zerstört.
Das kleinste Zimmer in diesem Haus war eines für ein Baby gewesen.
Die Tapete war wie einen Märchenwald bemalt und in dem Zimmer lag ein großer Kerzenleuchter auf dem Boden.
Wie alle anderen Räume besaß auch dieses Zimmer einen Kamin.
In einer Ecke befand sich eine wunderschöne gläserne Wiege, die neben einem alten roten Ohrensessel stand. Auf dem Boden lagen überall Spielzeuge, Anziehsachen und Kuscheltiere verstreut, die allesamt dreckig, zerstört oder vermodert waren.
Langsam ging Harriet in das gegenüberliegende Zimmer, in dem zwei Doppelstockbetten standen.
Auch die anderen Gegenständen, wie die anderen Möbel waren in diesem Zimmer zwei mal vorhanden.
Harriet konnte sich denken, das hier Zwillinge gewohnt hatten.
Auf einem alten Schreibtisch sah sie ein Buch, das einem Tagebuch ähnelte.
Vorsichtig setzte sich Harriet auf einen der morschen Stühle und öffnete das Buch.

25. August 1979

Liebes Tagebuch,
Heute war einer meiner schönsten Tage im Leben, denn Alexander und ich haben Geburtstag.
Es war deshalb ein so wunderbarer Tag, da in der Schule all unsere Freunde uns zum Geburtstag gratuliert haben.
Sogar unsere Verwandlungsprofess orin Henrietta Wagner hat uns zum Geburtstag gratuliert.
All unsere Freunde begleiteten uns nach Hause, wo wir dann feierten.
Aber am schönsten war dann der Abend, als Mum von der Arbeit kam.
Sie war bei einem Arzt für Frauen gewesen, der ihr und Dad verkündigt hatte, dass wir (Alexander und ich) ein Geschwisterchen bekommen würden.
Natürlich hatten wir uns sehr darüber gefreut, allerdings lag auf Dads Blick etwas merkwürdiges, was ich nicht deuten konnte.
Ich hatte ernsthaft Angst vor Dad, was ich sonst kaum hatte, aber dies eine Mal hätte ich mich hinter Mum verstecken können.
So ich muss dann mal wieder ins Bett, sonst kriege ich eins auf die Rübe von Dad.

Deine Elisabeth Sorcière

1.12.1979

Liebes Tagebuch,
Alexander hat eine gefährliche Epidemie bekommen, die einst im Mittelalter gewütet hatte.
Fast alle Schutzengel seien daran erkrankt und nun liegt Alexander mit hohem Fieber im Bett.
Mum sitzt jeden Tag neben ihm und versucht ihn zu heilen.
Doch sein Fieber will einfach nicht runter gehen, was Mum zur Verzweiflung bringt.
Sie sagt, sie will nicht ein Kind verlieren, vor allem da Dad schon seine Zukunft geplant hat.
Er sollte nach Hogwarts auf die Oxford University für allerlei Zaubererei und Hexerei gehen, um einer der besten Auroren zu werden oder im Zaubergamot zu arbeiten, wo Dad ja arbeitet.
Doch das wird wohl nix, wenn Alexander stirbt, aber ich will nicht, dass er stirbt.
Bestimmt fragst du dich, ob Dad meine Zukunft schon geplant hat.
Ja das hat er durchaus.
Nachdem ich dann Hogwarts mit 1,0 abgeschlossen haben werde, soll ich mit dem Sohn des Feindes verheiratet werden, damit ich dann viele Erben auf die Welt bringe.
Das Schlimmste an diesem Tag war der Streit zwischen Mum und Dad, aber verstanden habe ich es nicht so gut.
Beide hatten in einer so außergewöhnliche Sprache gesprochen, das ich dachte, es sei die alte Sprache der Schutzengeln, die heut zu Tage nur noch bei den Ältestenräten gesprochen wird.
Das, was ich nur verstanden habe, war dieser Satz: „Julia, wie konntest du es wagen? Alpaslan ist ein Vampir und kein Zauberer oder sonst ein gutes Wesen.“
Mum so daraufhin: „Jörg, du weißt nicht einmal was Liebe bedeutet. Ich meine richtige Liebe.“
„Willst du etwa damit andeuten, dass ich dich nicht liebe?“
„Ja, das will ich durchaus damit andeuten.“
Darauf hat Dad wutentbrannt Mum eine Ohrgeige gegeben, worauf Mum weinend weglief. Ich hoffe, dass ich’s irgendwann verstehe, was beide damit gemeint hatten.

Deine Elisabeth Sorcière

Also war mein wahrer Vater Alpaslan. Oh Gott, dann ist es ja klar, warum ich nicht von den Vampiren gebissen wurde und warum er immer so nett zu mir war.
Ich…ich…wusste gar nicht, dass er mein Vater gewesen war und ich habe mich nie bei i…i…ihm bedankt, dachte Harriet, wobei sie das Buch zu klappte.
Sie sah sich um und fand ein zweites Tagebuch, dass ein wenig anders aussah.
Ob es bei dem anderen was anderes drin steht?
Sie öffnete das andere Buch und las bisschen drin herum, bis sie auf was stieß, was sie neugierig machte.

18.12.1979

Liebes Tagebuch,

Wie ich schon so oft geschrieben hatte, ist ein solches Tagebuch eher etwas für Mädchen.
Allerdings brauche ich dieses Tagebuch, um meine Gedanken und Gefühle jemanden anzuvertrauen, da ja Dad wie so oft möchte, das ich einen Notendurchschnitt von 1,0 bekomme.
Aber das ist nicht so einfach! Ich lerne und lerne - und für was? - für nichts und wieder nichts, denn was bringt es mir, ernsthaft?
Ja, vielleicht, das ich später – so wie es Vater möchte – im Zaubergamot arbeite.
So wie er halt.
Doch wünschte ich mir lieber meine beiden Schwestern zu beschützen, vor allem Harriet, die wohl eher Mum gleichen wird, denn sie ist ein Vollschutzengel, obwohl ein bisschen Hexe in ihr stecken mag.
Bestimmt fragst du dich – liebes Tagebuch – woher ich weiß, dass ich eine Schwester bekomme.
Das ist so, ich war mit Mum beim Schutzengelkrankenh aus St. Sanssouci und da kann man wie bei den Mugglen ab einem bestimmten Monat das Geschlecht sehen.
Hier in der magischen Welt oder besser gesagt in der Schutzengelwelt, die ja bekannter weise über den wunderschönsten Wolken der Welt liegt, sieht man es durch einen sachten Hauch von Magielichtern und da hab ich sie gesehen…meine Schwester Harriet Friederike Eléonore Jannette Hope Veronique Sorcière.
Doch sie wird wahrscheinlich nicht allzu lange leben können, da sie sich opfern muss, um den Welten den Frieden zu bringen.
Denn würde sie es nicht tun, dann würde Lord Voldemort und die anderen Schwarzmagier (hier meine ich andere Wesen) die ganze magischen Welt allmählich vernichten.
Ich finde es grausam, dass ausgerechnet ein Kind dazu auserkoren wurde, um die Welten vor den schlimmsten Magiern zu retten.
Warum haben die dämlichen Ältesten nicht Mum auserkoren, da sie doch die Stellvertretende Jeanne D’Arcs ist.
Bestimmt wird die liebe Harriet ihre Nachfolgerin werden.
Oder ihr Sohn oder ihre Tochter, die ja dann meine Nichte oder mein Neffe sind, wenn sie es schafft ein Kind auf die Welt zu bringen.
Ich will einfach nicht, das Harriet nur deswegen ihr Leben opfern muss, damit es wieder Frieden gibt.
Warum ausgerechnet sie?
Warum?
Warum können die bösen Magier sich nicht einfach mit den Guten vertragen?
Es gibt sogar noch eine Ungerechtigkeit, denn Professor Sybill Patricia Trelawney hatte eine Prophezeiung gemacht, die auf Neville Longbottom und Harry Potter zutreffen würde.
Diese Prophezeiung wurde von Severus Snape in Teilen Lord Voldemort übermittelt, der annahm das die Prophezeiung auf den Sohn von James und Lily Potter gilt und nicht auf Neville Longbottom.
Ich selbst verstehe es nicht, denn ich habe alles in einem Traum gesehen.
Wie Mum immer gesagt hatte, dass ich ein wahrer Wahrsager bin.
So muss nun aufhören

Dein Alexander Sorcière

Vampirfriedhof Kapitel 13