„Pst. Leise. Da vorn ist Peeves. Hier entlang, los, beeilt euch.“ Leise tappten drei Paar Füße auf Socken durch die dunklen Gänge. “Oh, nein, da ist Mrs. Norris – und wo die ist, ist auch Filch nicht weit.“ Doch die Katze putzte sich in aller Ruhe die Pfoten und strich dann langsam um die Beine der drei nächtlichen Ausflügler. Sie blinzelte sie alle der Reihe nach an, gab aber keinen Mucks von sich, sondern verschwand hinter einer der Statuen, ohne Filch gerufen zu haben, der mit einer Wärmflasche in seinem Bett lag und gar nicht daran dachte, des Nachts durch die Gänge zu laufen.
Seit der schroffen Abfuhr am ersten Tag des Schuljahres in der Großen Halle – ihn vor allen Schülern derart zu demütigen – sah er nicht ein, wieso er des Nachts patroullieren sollte, mochten die Carrows sich doch allein um Ordnung und Disziplin kümmern. Natürlich hatte er die Graffiti an den Wänden gesehen. In fetten roten Buchstaben, die wie Blut aussahen, hatte da jemand geschrieben: „Dumbledores Armee sucht noch Mitglieder“ / „ Dumbledores Armee lebt“ / „Dumbledores Armee kämpft weiter!“, doch er war vorübergegangen, ohne daran herumzuschrubben, denn erstens hatten diese Kinder die Schrift sowieso verhext – und zweitens tat ihm das Kreuz weh. Als Hausmeister war es nicht seine Aufgabe, die Wände zu schrubben, sollten doch die Todesser selber sehen, wie sie das Zeug abkriegen. Er würde sich nicht zum Gespött machen. „Tut mir leid, meine magischen Fähigkeiten reichen dazu nicht aus“, würde er sagen, falls ihn jemand dazu auffordern würde, die Schmiererei zu beseitigen. Er kicherte leise vor sich hin. Die konnten ihn mal, von wegen – die Übeltäter aufspüren – klar hatte er dienstbeflissen genickt und so getan, als wäre er vor lauter Ehrfurcht sprachlos, als Alekto ihn voller Wut angebrüllt hatte. Dabei musste er sich nur das Lachen verkneifen. McGonagall hatte ihm zugeblinzelt, Pomonas Hut hatte verdächtig gewackelt, aber alle hatten mit todernsten Gesichtern dagestanden.
Ihm, Argus, entging natürlich nichts in Hogwarts, selbstverständlich wusste er, wer all das geschrieben hatte. Der erste Satz war von Ginny Weasley, der zweite von dieser Luna ( hätte man ihr gar nicht zugetraut ) - und der dritte schließlich war von Longbottom. Aber das würde er weder Amycus noch Alekto sagen – und schon gar nicht Snape. Argus Filch ließ sich nicht ungestraft beleidigen, er war eine Respektsperson, jawohl. So richtig hatte das bisher aber nur eine erkannt, Dolores Umbridge. Ja, das war eine Schulleiterin nach seinem Geschmack gewesen ... Ihn, Argus Filch, zu treten wie einen Hund – vor allen Schülern, die sowieso schon keinen Respekt vor ihm hatten, und ihn dann auch noch mit einem Schweigezauber zu belegen, oh, das würde die Carrow noch bereuen. Sie wollte, dass er schwieg – das konnte sie haben, bitteschön, er konnte schweigen – und wie ... Die würden sich alle noch wundern. Mit diesen Gedanken schlief er ein, während sich Mrs. Norris nach ihrem kurzen Ausflug auf seinen Füßen zusammenrollte und das nächtliche Schloss den drei Gestalten überließ, die sie vorhin beobachtet hatte.
„Das habe ich in den Ferien von meinem Onkel bekommen – es öffnet jede Tür.“ Mit diesen Worten zog Neville ein kleines, grünes Futteral aus seiner Hosentasche, tippte es leicht mit dem Zauberstab an, so dass es auf die doppelte Größe anwuchs und entnahm ihm ein Messer mit runenverziertem Griff. Die Klinge hatte kaum den Türspalt berührt, als die Tür auch schon aufsprang und die drei rasch hineinhuschten. Glück gehabt – das Schulleiterbüro war leer. Doch was war das? Hatte da nicht jemand gehustet? Erschrocken drehte Ginny sich um, doch Luna sagte nur lächelnd: „Guten Abend, Professor Dumbledore.“ Das Portrait hinter dem Tisch schmunzelte, während aus dem Rahmen von Phineas Niggelus ein missbilligendes „Tss, Tss“ zu hören war. „Wir wollen das Schwert von Gryffindor holen, Sie haben es doch Harry vermacht, aber das Ministerium wollte es nicht rausrücken.“ Dumbledore musste genauer hinsehen – diese tiefe Stimme kannte er doch gar nicht. War das tatsächlich Neville Longbottom? Er blinzelte noch einmal, tatsächlich, dieser entschlossene junge Mann mit den Narben im Gesicht war Neville. Es fiel schwer, in ihm den kleinen Tolpatsch der ersten Jahre zu sehen, der ständig über seinen Umhang stolperte, seine Kröte verlor und von einem Missgeschick zum nächsten tappte. Er schien der Anführer zu sein. „Können Sie uns helfen, Professor?“ Luna wirkte genauso entschlossen. „Ihr tapferen ... - Vorsicht, da kommt jemand!“ Blitzschnell vollführte Luna einen Desillusionierungszauber, der die drei perfekt verbarg. Sie hielten den Atem an. Jetzt konnten auch sie die Schritte im Korridor hören. „Mr. Snape, Sie haben Ihre Tür offen gelassen, dann haben Sie doch sicherlich nichts dagegen, wenn ich einmal kurz hereinkomme. Ich möchte noch etwas mit Ihnen besprechen.“ - „Mr. Snape...?“ Keiner hatte sich gerührt, schließlich betrat Amycus das Büro: „Mr. Snape!“ „Wie Sie bereits bemerkt haben dürften, Amycus, ist der Schulleiter nicht zugegen.“ „Was Sie nicht sagen, Dumbledore! Mir ist im Moment überhaupt nicht nach solchen Spielchen!“ Dumbledores Augen weiteten sich erschrocken, als er sah, wie Amycus seinen Zauberstab zu einem ungesagten “Homenium revelio“ schwang und mit verdutzter Miene statt Severus Snape drei Schüler vor sich sah, die – sich aneinander festhaltend – trotzig zu ihm aufblickten. „Was haben wir denn da für einen interessanten Fang gemacht?“ Noch während er diese Worte sprach, riss es die drei von den Füßen und sie hingen kopfüber an der Decke des Büros, von unsichtbaren Fesseln eingeschnürt. Inzwischen war auch Alekto eingetreten: „Gut gemacht, Amycus, gut gemacht.“ Ihre schnarrende Stimme hallte durch die leeren Gänge.
Severus ahnte Schlimmes. Er war nur kurz in den „Drei Besen“ gewesen. Neuerdings hatte er ständig das Gefühl, er könne in der Großen Halle nicht mehr in Ruhe essen. Er hatte sich noch ein Glas Met bestellt und war dann zu Fuß zurückgegangen nach Hogwarts. Es sah alles so friedlich aus, so ruhig. Endlich mal ein entspannter Abend. Er war besonders langsam geschlendert, jede Minute auskostend. Was er nicht bemerkte: Er hatte einen Schatten. Völlig lautlos und in der Dunkelheit nahezu unsichtbar bewegte er sich hinter ihm in Richtung Schloss. Von Zeit zu Zeit funkelte ein Paar grüner Augen neben ihm auf. Snape bemerkte nicht, dass dieser Schatten ihm in Richtung Schloss folgte, ganz in Gedanken versunken genoss er den ruhigen Abend. Doch kaum hatte er das Schloss betreten, da wurde er jäh aus dieser friedlichen Stimmung gerissen. Natürlich, Alekto, niemand sonst hatte eine derart unangenehme Stimme. Er unterdrückte den Impuls, ihr den Hals umzudrehen und ging, immer noch betont langsam, auf sie zu. Das durfte doch nicht wahr sein – die Stimmen kamen aus seinem Büro! Dabei hatte er es doch ausreichend gegen unbefugtes Eindringen gesichert. Hatte Voldemort den Carrows etwa denselben Zauber gegeben wie ihm – und dabei nur so getan, als wäre er der einzige? Misstraute er ihm womöglich? Hatte er sich durch irgendetwas verraten? Nachdenklich betrachtete er sein Dunkles Mal, das ihn immer öfter mit Schmerzen quälte, als wäre sein linker Arm mit Säure übergossen worden. Er erinnerte sich: Nachdem der Dunkle Lord für alle verkündet hatte, dass er, Severus Snape, ab sofort Leiter der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei sein würde, hatte er ihn kurz beiseite genommen und mit einem diabolischen Lächeln seinen Zauberstab fest auf Snapes Dunkles Mal gedrückt. Dabei hatte er mit seiner kalten, hohen Stimme geflüstert: „Es wird für meinen treuesten Diener keine verschlossenen Türen geben in Hogwarts, keine Geheimnisse für den Schulleiter.“ Snape hatte ihm dabei in die Augen geschaut und ein offenbar belustigtes Funkeln darin wahrgenommen. Gut gelaunt hatte Voldemort erklärt: „Der zusätzliche Zauber, mit dem ich soeben dein Dunkles Mal versehen habe, wird dir jede Tür öffnen, ganz gleich, wer sie mit welchem Zauber auch immer gesichert hat. Dir ist natürlich klar, dass es eine solche Macht nicht umsonst gibt, Severus. Du wirst selbstverständlich dafür bezahlen müssen.“ Offenbar hatte ihn in diesem Moment unwillkürlich ein Schauer durchzuckt, denn der Dunkle Lord hatte hinzugefügt: „Keine Angst, Severus, es wird dich nicht umbringen.“ Dabei hatte sein langer Zeigefinger den Kopf von Nagini gestreichelt. Nagini, deren weit aufgerissenes Maul kurz vorher – nein, jetzt bloß nicht wieder daran denken ... Er musste sich konzentrieren – den Carrows entschlossen gegenübertreten. Von niemandem bemerkt, war der kleine, graue Schatten blitzschnell durch die offene Bürotür geschlüpft und hatte sich – mit dem sicheren Gespür, dass hier momentan ausgesprochen dicke Luft herrschte, hinter ein paar altertümlichen Instrumenten versteckt. Mit festem Schritt betrat Severus sein Büro: „Was ist hier los? Wie sind Sie hier hereingekommen?“ Amycus deutete auf die Decke – und bei diesem Anblick drehte sich Snape beinahe der Magen um.